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PODCAST #29

Andreas Schleicher

Mister PISA

Geburtsort

Hamburg, Deutschland

Geburtstag

07.07.1964

Anfänge

Gewinner bei „Jugend forscht“

Heute

Experte in Jugend erforschen
„Unsere Schule heute ist unsere Gesellschaft morgen. Aber das ist, wenn es einem gut geht, oft nicht so klar“

Andreas Schleicher im MyGrandStory Podcast

Andreas Schleichers GrandStory

Am 5. Dezember 2023 ist es wieder soweit. Da kommen die neuen, mit großer Anspannung erwarteten Ergebnisse der PISA 2022 Studie. Dann wird ihr „Erfinder“, der Hamburger Bildungsforscher Andreas Schleicher, wieder zwischen zwei Lagern gebeutelt werden.

In höchsten Tönen gelobt für diese wertvollen Einblicke in den Bildungsstand von über 75 beteiligten Ländern, besonders jetzt, Post-Corona. Oder abgestraft für diese Form von Leistungssystem, das seine Kritiker als Schlüssel zur Uniformierung des Denkens, Fühlens und Verhaltens verurteilen.

Er selbst bleibt bei alldem hanseatisch gelassen. Wird nicht müde eindringlich zu erklären, was der deutschen Bildung im internationalen Vergleich fehlt, wie „Es geht bei uns nur ums Aussieben, wobei nur ein kleiner Teil der Gesellschaft reüssiert. Wir brauchen aber alle!“ und dass wir uns, um für die Zukunft gerüstet zu sein, auch als Erwachsene niemals auf den einmal erworbenen Kenntnissen ausruhen, sondern diese kindliche Fähigkeit zurückerobern sollten, „die Bereitschaft, jeden Tag den eigenen Horizont zu erweitern“.

Welche Rolle eine Geige für seine Karriere spielte, welche menschlichen Fähigkeiten (wenn wir sie denn entwickeln dürfen) uns für die Zukunft mit KI wappnen und warum Bildung heutzutage mit weniger Stoff auskommen sollte, das erzählt Andreas Schleicher eindringlich im MyGrandStory-Podcast.

Wer ist Andreas Schleicher?

Andreas Schleicher ist seit 2001 Bildungsdirektor bei der OECD, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in deren Auftrag er die PISA-Studie entwickelte, die 2001 zum ersten Mal eingesetzt wurde – und deren Ergebnisse vor allem im ehrgeizigen Deutschland Schockwellen auslösten.

Seit 2006 ist er zudem Honorarprofessor der Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Bildungsforschung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Bevor er als Bildungsforscher international in den Fokus rückte, hatte er in Hamburg Physik mit Schwerpunkt Methode studiert – was nur konsequent war, nachdem er mit seinem Cousin bei „Jugend forscht“ mit einer (damals schon!) Spracherkennungssoftware einen Preis abgeräumt hatte – und der ihm zunächst direkt nach der Schule ohne Ausbildung einen Job bei Philips Medizintechnik eingebracht hatte.

Dass man „mit Bildung Dinge verändern kann“ und dass er genau in diesem Feld vorwärts kommen wollte, haben drei frühe Erfahrungen in ihm geprägt: Er selbst hatte keine Empfehlung fürs Gymnasium, ähnlich wie unsere weitere GrandStory, Wolfgang Wernsdorfer.
„Ich war wirklich nicht gut in der Schule, aber für mich war das System auch nicht gut“, und verdankt seine Förderung seinem Vater, selbst Erziehungswissenschaftler, der sein Potenzial erkannt hatte.

Dann, während seines Zivildienstes in Hamburg an der Christophorus-Schule für Kinder mit Lernbehinderung erlebte er die großen Unterschiede, die Bildung ausmacht, die geringe Chancengleichheit im deutschen Schulsystem und wie essentiell die richtige Motivation für jedes einzelne Kind ist.

Und schließlich, beim Aufbaustudium Mathematik an der australischen Deakin-University in Melbourne, arbeitete er mit einer Gruppe Wissenschaftler:innen, die sich zu diesem frühen Zeitpunkt bereits, 1995 mit internationalen Vergleichsstudien beschäftigten. Andreas Schleicher wollte aber nicht nur forschen ohne erkennbare Wirkung auf die Praxis… So kam er zur OECD nach Paris.

In Paris lebt er seither mit seiner Frau Maria Teresa Siniscalco, auch Bildungsforscherin, und ihren drei Kindern, Matteo, Lucia und Sophia.

Das macht Andreas Schleicher zu einer GrandStory

Asiatische Länder wie Südkorea und Japan, auch Estland und unsere skandinavischen Nachbarn haben uns eines deutlich voraus, so Andreas Schleicher im MyGrandStory-Podcast, sie investieren in Bildung.

Und da geht es nicht nur um Finanzierung von Schulmaterial oder zeitgemäße Lehrerausbildung, nicht nur um die Integration von digitaler Technik in den Unterricht oder den Einsatz frischer Lehrmethoden. Hier geht es nicht um Praxis, sondern Einstellung: in jeder Bevölkerungsschicht sei angekommen, dass Bildung die wichtigste Grundlage für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft ist. Und dass jede:r Einzelne seinen und ihren Beitrag dazu leisten muss.

In Deutschland habe er den Eindruck, dass die Erwartungshaltung gegenüber Bildungsstätten zwar enorm hoch ist, die Verantwortlichen aber, zum Beispiel in den Ministerien, Modernisierung verschlafen, die verantwortlichen Eltern sich wie Kunden aufführen, die Lehrer zu Dienstleistern degradiert werden und die Kinder zu Konsumenten verkommen.

„Das ist Teil des Problems“, erklärt Andreas, der berühmt ist für klare Worte „keiner übernimmt Verantwortung.“ Dass er persönlich die Sache sehr ernst nimmt, zeigt er bereits seit 2001 mit der PISA-Studie (abgefragt wird die Kompetenz 15-Jähriger in den Fächern Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften) – diese Einblicke weltweit erlauben ihm ebenso viel Kritik zu üben, wie Erneuerungsvorschläge vorzubringen…. und das war auch der ursprüngliche Sinn dieser Erhebungen: der Vergleich mit anderen Ländern sollte den Austausch fördern, das voneinander und miteinander lernen, wie Bildung morgen aussehen muss.

Auf keinen Fall, so Andreas, mit überfrachteten Lehrplänen und Frontalunterricht, bei dem Massen an Fertigwissen über die Schulbänke referiert und dann bloß abgefragt werden. „Der wichtigste Aspekt beim Lernen ist eine gewisse Tiefe: kann ich denken wie ein Naturwissenschaftler, wie eine Historikerin, eine Mathematikerin, kann ich Fragen stellen, kombinieren, experimentieren, Ideen verstehen und etwas daraus kreieren“

Diese Räume, diese Anleitungen fehlen im deutschen Bildungssystem, und die Technologie, allen voran KI und ChatGPT, wirken gerade wie Brandbeschleuniger. Wir treten unseren Orientierungssinn an Google Maps ab, lassen Übersetzungsprogramme über Texte laufen, und verlieren dabei die Idee von Sprache, Matheaufgaben enträtselt ganz easy ein entsprechendes Tool. „Dabei müssen wir uns darauf konzentrieren, was Menschen ausmacht. Wir müssen Abwägungen vornehmen können“, sagt Andreas „um die richtigen Schlüsse für die Zukunft klären zu können.“ Gerade deshalb dürfen wir wichtige menschliche Fähigkeiten nicht aufgeben, fügt er hinzu, nur weil eine Maschine für uns den Alltag übernehmen kann.

Was also, Professor Schleicher, sind die wertvollsten Skills für das 21. Jahrhundert?
Seine Antwort: Mit Unsicherheit leben können. Verantwortung übernehmen. Das große Ganze sehen.

Die neuen Technologien fordern den Menschen heraus. Wir Menschen müssen Verantwortung übernehmen, sagt er. Dafür brauchen wir starke soziale und emotionale Fähigkeiten. Wir brauchen stabile Wertvorstellungen für ethische Entscheidungen. Wir müssen verstehen, dass durch die neuen Technologien kognitive Fähigkeiten verschwinden und Menschen vereinsamen. In einer globalisierten Welt brauchen wir aber vor allem die Fähigkeit mit unterschiedlichen Menschen, Kulturen, Religionen zu kooperieren. Sie zu verstehen.

Wir müssen lernen, erklärt er weiter, Unwägbarkeiten auszuhalten. Auf Unsicherheiten, die die Zukunft mit sich bringt, schnell reagieren zu können, seinen Platz finden und seine Position neu bestimmen zu können. Dabei vor allem die Selbstwirksamkeit stärken, die Fähigkeit an sich zu glauben.

Schließlich: Das große Ganze sehen. Interdisziplinär, kritisch, offen sein für sich verändernde Fakten, alles in Frage stellen dürfen. Wissen in veränderten Zusammenhängen nutzen. Diese Kreativität und Innovation brauchen wir, um mit den komplexen Themen der Zukunft umgehen zu können. 

„Die Welt belohnt Sie heute nicht mehr für Wissen“, so Andreas Schleicher, „die Welt belohnt Sie dafür, was Sie mit dem, was Sie wissen, tun können.“

Text: Andrea Ketterer

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