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PODCAST #14

Hiltrud Werner

Deutsch-deutsche Ausnahmeerscheinung

Geburtsort

Bad Doberan, Deutschland

Geburtstag

16. April 1966

Anfänge

Ausbildung zur Facharbeiterin für Textiltechnik

Heute

Vorstandsmitglied bei Volkswagen (Geschäftsbereich Integrität und Recht), Aufsichtsrat bei Porsche, Audi und CARIAD
„Meine Herkunft hat immer eine Rolle gespielt, und sie tut es noch heute.“

Hiltrud Werner im MyGrandStory Podcast

Hiltrud Werners GrandStory

Hiltrud Werners berufliche Biographie ist eine Versinnbildlichung der jüngeren deutsch-deutschen Geschichte. Mit allem Guten, mit allem Schlechten, was eben so dazugehört.

Die 1966 in der DDR geborene Hiltrud durfte die Erweiterte Oberschule nicht besuchen, weil ihr Vater ein Diakon war, und musste eine Lehre absolvieren, um auf diesem Wege ihr Abitur zu erlangen. Mit dem Mauerfall wurde ihr Mann arbeitslos und die frisch von der Uni gekommene junge Mutter musste den Lebensunterhalt der kleinen Familie allein verdienen.

Anfang der 90er Jahre bei einem Software-Unternehmen in München, wo sie schief angeschaut wurde, weil sie eben als junge Mutter in Vollzeit zu arbeiten gedachte. Sie war in ihren jungen Jahren mit den gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten in Deutschland konfrontiert, steckte jedoch nie zurück und absorbierte diese Stück für Stück. Einer Trainee-Stelle bei BMW, die sie 1996 antrat, folgte ein rasanter Aufstieg im Bereich der Unternehmensrevision, und weitere Top-Positionen bei MAN und ZF Friedrichshafen.

Als der Dieselskandal bei VW vollends einschlug, wurde Hiltrud zu VW berufen, um als Leiterin der Gesamtkonzernrevision und später als Mitglied im VW-Vorstand Licht in die vielen schattigen Facetten eines beispiellosen Wirtschaftsskandals zu bringen.

Wenn jemand diese schier unlösbare Sisyphosaufgabe lösen konnte, dann wohl Hiltrud Werner, die schon so manchem systemischen Widerstand seine Grenzen aufgezeigt hat.

Wer ist Hiltrud Werner?

Hiltrud Werner ist seit November 2021 Vorsitzende des Aufsichtsrates der Mitteldeutschen Flughafen AG sowie seit September 2022 Mitglied im Aufsichtsrat des Rüstungskonzerns Hensoldt AG.

Zuvor war Hiltrud Werner von 1. Februar 2017 bis 31. Januar 2022 Vorstandsmitglied der Volkswagen AG und verantwortete dort den Geschäftsbereich Integrität und Recht und außerdem Mitglied im Aufsichtsrat der Audi AG, Porsche AG, Seat SA sowie der und der Softwaretochter des Konzerns, CARIAD SE.

Hiltrud trat im September 2022 ihren neuen Posten bei Hensoldt im Auftrag der Bundesregierung an. An der ehemaligen Tochtergesellschaft des Airbus-Konzerns ist der Bund seit zwei Jahren mit 25,1 Prozent beteiligt.

Hiltrud Werners beruflicher Werdegang liest sich wie das Who-is-Who der deutschen Automobilindustrie: Sie arbeitete über mehr als 15 Jahre bei BMW, Rolls Royce und MINI, bevor sie nach kurzen beruflichen Etappen bei MAN SE und ZF Friedrichshafen AG im Jahr 2016 bei Volkswagen die Leitung der Konzernrevision übernahm.

Hiltrud Werner hat zwei erwachsene Kinder.

Was macht Hiltrud Werner außergewöhnlich?

Unter den 1.000 vermögendsten Deutschen sind gerade einmal sechs Ostdeutsche. Einen ostdeutschen Milliardär suchte man auch im Jahr 2020 vergeblich.

Die Eliten in Deutschland sind auch über dreißig Jahre nach dem Mauerfall westdeutsch, egal ob man in die Verwaltung, Politik, Medien, Justiz oder Wissenschaft schaut. Das gilt insbesondere und noch viel mehr für die Wirtschaft.

Im Jahr 2018 saßen in den Vorständen der 30 DAX-Unternehmen vier Ostdeutsche. Von den ungefähr 200 Vorständen sind im Jahr 2021 18 Prozent weiblich. Sprich, Hiltrud Werner gehörte als ostdeutsche Frau also zu einer doppelten Minderheit im Olymp der deutschen Wirtschaft, ähnlich wie unsere weitere GrandStory, Saori Dubourg.

Warum hat Hiltrud Werner eine GrandStory?

Kennst Du das? Du hast eine Kinokarte besorgt, setzt Dich mit klebrigem Popcorn und verdünnter Cola in Deinen Kinosessel, siehst Dir die ellenlange Werbung und die Sequels der nächsten Blockbuster an, und dann? Dann merkst Du, Du bist im falschen Film. Hiltrud Werners berufliche Biographie ist in ihren Anfängen ein einziges Ich-bin-hier-doch-im-falschen-Film-Desaster.

Geboren 1966 in Bad Doberan als eines von sechs Kindern eines Diakons darf Hiltrud nicht die Erweiterte Oberschule – die höhere Schule des Schulsystems der DDR – besuchen, weil Christen und DDR und so. Hiltrud nimmt die zähe, wesentlich anstrengendere Umleitung und macht eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Textiltechnik, bei der sie nebenbei das Abitur erwerben konnte, und studiert im Anschluss an der Universität in Halle Wirtschaftsinformatik.

Kaum hat sie ihr Studium beendet, fällt die Mauer und ihr Mann, mit dem sie ein Kind hat, wird in den Wirren der Wende arbeitslos. Sie findet einen Job in München in einem Software-Unternehmen und wird zur Alleinverdienerin. Eine junge Mutter, die Anfang der 90er Jahre in Vollzeit arbeitet, stößt nicht nur auf keine Kinderbetreuungsinfrastruktur, sondern vor allen Dingen auf paternalistischen Groll, weil Ossis und Rabenmutter und christlich ist das ja nicht und so.

Dass sich Hiltrud davon nicht hat beeindrucken lassen, vielmehr noch, dass sie sich konsequent in der männerdominierten Automotive-Branche und in der wessidominierten DAX-Vorstandsriege hat durchsetzen können, zeigt, aus welchem Holz sie geschnitzt ist.

Wenn in dieser bewundernswerten Biographie etwas ganz besonders schlummert, dann sind es Widerstandskraft, Durchhaltevermögen und Resilienz. Und auf der übergeordneten Ebene: Wie sehr gesellschaftliche Systemzwänge Menschen in ihrer Entfaltung und in ihrem Streben nach Glück hemmen, auch im Deutschland des späten 20. Jahrhunderts.

Da wundert es kaum, dass Hiltrud Werner als VW-Vorstand im Bereich Integrität und Recht eine Vorreiterrolle inne hatte, wenn es um Diversität, Persönlichkeitsentfaltung und Chancengleichheit geht. Weil sie es selbst erlebt hat und so.

Foto Hiltrud Werner: (c) Volkswagen AG

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